Ein Kind muss in den Kindergarten und für Tschechen bedeutete das natürlich einen tschechischen Kindergarten. Vor 1938 gab es auch in Simmering tschechische Kindergärten, es gab sogar eine tschechische Volksschule in der Brehmstraße, die sowohl meine Mutter Martha als auch meine Tante Ludmilla besucht haben. Aber die Hitlerjahre haben alle diese anderssprachigen Reservate weggefegt. Von den einst 35 tschechischen Schulen der Zwischenkriegszeit gab es nur mehr drei (Wien 10., Wien 2., und Wien 20.) und jene am Sebastianplatz besuchte ich. Ich konnte das noch nicht allein aber in der Hauffgasse wohnte die Familie Kosík (tschechisch wie „Amsel“) und deren älterer Sohn, der auch am Sebastianplatz zur Schule ging, begleitete mich. Ich ging mit etwa vier Jahren allein durch die Felsgasse, Sedlitzkygasse und traf dort in der Hauffgasse meinen Begleiter. Wir fuhren mit dem 71er bis zur Ungargasse/Fasangasse und dort eine Station mit dem O-Wagen bis zur Neulinggasse. Ich blieb anfangs so lange im Kindergarten bis mein älterer Begleiter Schulschluss hatte.
Von diesen Kindergartentagen sind mir die Bescherungen zu Weihnachten in Erinnerung geblieben, die Garderoben am Gang (existieren heute noch; man bewegte sich in der ganzen Schule nur in Hausschuhen), die Schulküche, mein strenger Onkel Carda als Schuldirektor, der kleine Sockel vor der Tafel in den Klassenräumen und der Mittagsschlaf jener Kinder, die bis am Abend in der Schule blieben. Bei mir war das nur manchmal der Fall; ich fuhr (meist allein) zu Mittag nach Hause. Die anderen Kinder blieben meiste länger bis sie jemand abgeholt hat und nach dem Mittagessen gab es eine Stunde Bettruhe, an der ich nur ganz selten teilnahm, weil ich eben nach Hause fuhr. Die Aufsicht übernahm mein Großmutter.
Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist mein letzter Kindergartentag, denn die Kindergartengruppe fuhr auf den Leopoldsberg und weil ich nicht zu den Eltern nach Hause fuhr, sondern direkt in mein Feriendomizil in Kritzendorf, fuhr ich von der Station Kahlenbergerdorf nicht zurück in die Stadt sondern fuhr in die Richtung nach Tulln, eben nach Kritzendorf. (Sonderbar ist aus heutiger Sicht die große Selbständigkeit der Kinder in der damaligen Zeit. Das wäre heute nicht denkbar.)
Mein Großvater empfing mich auf dem schmalen Weg zum Nachbargrundstück, seine Virginia rauchend. Wie ich es gewohnt war, setzte ich mich auf seinen Fuß. An diesem Tag aber sagte er, dass ich ihm schon zu schwer wäre.