Volksschule

In welchem Alter geht man in die Volksschule?

Mein Onkel Carda_Franz war der Schuldirektor in der tschechischen Schule am Sebastianplatz. Und wenn es jemand weiß, dann ein Pädagoge. Und er meinte, dass der Franz, sein Neffe, also ich, ein g’scheiter Kerl wäre und er es schon schaffen würde, mit fünfeinhalb Jahren in die Schule zu gehen. Sollte er einmal wiederholen müssen, würde er noch ein Jahr „gut“ haben. Und so war es und ich war noch nicht sechs Jahre alt und bereits in der Schule.

Ob es mir im Rückblick geschadet hat? Nein, könnte man natürlich sagen, es hat ja alles geklappt, oder? Kritischerweise muss man aber anmerken, dass einige Monate Entwicklungsunterschied im Kindesalter viel ausmachen und eigentlich konnte ich diesen Entwicklungsrückstand tatsächlich bis zur Matura nicht wirklich aufholen. Als jüngstes Kind in einer Gruppe ist man immer ein Randkind.

Es begann schon im ersten Jahr mit einem Ereignis, an das ich mich selbst gar nicht mehr erinnern konnte, doch wurde es so erzählt und es war wohl auch so. In einer Pause fand die Klassenlehrerin eine riesige Hinterlassenschaft, die normalerweise in der Klomuschel runtergespült wird am Sockel vor der Tafel. Entrüstet lief sie zum Direktor und meinte, dass keines ihrer Kinder so etwas tun würde. Der Direktor aber kannte seine Pappenheimer und er hat schon geahnt, dass der doch noch nicht ganz schulreife Franz für diese Hinterlassenschaft verantwortlich war und er hat dann den Vorfall diplomatisch übergangen.

In der ersten Klasse gab einen interessanten Tag, an dem ich nicht wie gewohnt nach Hause fuhr, sondern zu meinem Freund Rudolf „Rudi“ Dalecký nach Erdberg. Sein Vater war Schneider. Und der Anlass für diesen Tag war der Staatsvertrag am 15. Mai 1955, an dem meine Mutter und auch viele andere, zum Beispiel die Mutter von Rudi zum Belvedere gingen und daher wurden wir Buben von Rudis Schwester beaufsichtigt. (Irgendwas mit meiner Erinnerung dürfte aber durcheinander geraten sein, denn der 15.5.1955 war ein Sonntag und da wären wir nicht in der Schule gewesen. Es war vielleicht doch ein anderes Ereignis, zum Beispiel der 26. Oktober, der Abzug der letzten Soldaten, dann wäre es aber schon in der zweiten Klasse gewesen. Aber es muss ein großes Ereignis gewesen sein.)

Die zweite Klasse war das Jahr meiner ersten Auslandsreise. Meine Eltern sind ohnehin nie auf einen gemeinsamen Urlaub gefahren. Ich fuhr mit anderen Schülern meiner Klasse nach Velké Meziříčí bei Brünn und verbrachte dort einen Monat in einer Gruppe von Pionieren, bekam ein rotes Halstuch, ein weißes Hemd und wurde in den letzten Tagen zum Jungpionier erklärt.

Das Zeugnis der Volksschule war zuerst gut; in der dritten Klasse aber auch einmal mit einem Dreier.

Die Frage in der dritten Klasse war: „Was tun mit dem Franz?“.

Die tschechische Schule führte nur eine Hauptschule aber keine Mittelschule. Die Eltern waren ehrgeizig und wollten, dass ich eine Mittelschule besuchen soll. Die Großmutter war eher dagegen, sie plädierte für einen einfacheren Beruf.

Die Eltern setzten sich durch und man trainierte mich insbesondere in Mathematik. Nein, nicht die Eltern haben mit mir gerechnet; die Lehrerin in der Schule hat sich bemüht, kleine Rechenolympiaden zu veranstalten, wo die Schüler-KandidatInnen am Sockel vor der Tafel gesessen sind und Rechenaufgaben lösen mussten, die von den anderen SchülerInnen gestellt wurden. Damit wurde getestet, wie weit diejenigen SchülerInnen waren, die für den Übergang zu einer Mittelschule vorgesehen waren.

Diese letzte Volksschulklasse war auch das letzte Jahr mit meinem Großvater. Er verstarb im Mai an Lungenkrebs. Man kann rätseln, ob sein Tod durch den Konsum der vielen Virginias oder durch seine Kriegsgefangenschaft in Omsk herbeigerufen wurde, denn meine Tante Hanni hat berichtet, dass er mit diesem Tumor seit seiner Heimkehr gekämpft haben soll. Noch viele Jahre nach seinem Tod, mussten meine Mutter, Großmutter und ich zu einem regelmäßigen Lungenröntgen. Man wollte offenbar die Vererblichkeit von Lungenkrebs beobachten.

Dieser Tod bewirkte gravierende Änderungen im Leben meiner Mutter. Während die Großmutter ihr Leben ungeändert fortführte und ein halbes Jahr (vom Mai bis Oktober) in Kritzendorf verbrachte, verfiel meine Mutter in eine selbstauferlegte permanente Trauer. Obwohl sie ohnehin den ganzen Tag im Geschäft war, ging sie auch noch jeden Tag in der Mittagspause auf den Friedhof. Ich war oft mit.